Grenzüberschreitende Patentrechtsverletzungen in Deutschland

Eine detaillierte Analyse für Rechtsexperten

Das Territorialitätsprinzip bildet die Grundlage des Patentschutzes. Es definiert, dass Patentrechte ausschließlich innerhalb der Grenzen des Landes Anwendung finden, welches das Patent erteilt. In der Vergangenheit war dies ausreichend, da sich technische Entwicklungen hauptsächlich innerhalb nationaler Grenzen vollzogen. Im heutigen digitalen Zeitalter jedoch, geprägt durch Entwicklungen wie Cloud-Computing, Internet of Things (IoT) und weltweit verfügbare Online-Dienste, sieht sich das Patentrecht neuen, komplexen Herausforderungen gegenübergestellt.

Das Territorialitätsprinzip im digitalen Zeitalter

Deutschland steht als eine führende Nation im globalen Patentwesen vor Herausforderungen bei der Durchsetzung nationaler Patente, insbesondere wenn Verletzungen über nationale Grenzen hinausreichen. Dabei stellt sich eine zentrale Frage: Wird eine Handlung, die ein deutsches Patent betrifft, aber teilweise außerhalb Deutschlands stattfindet, nach deutschem Recht als Verletzung angesehen? Ist es erforderlich, dass alle Schritte eines durch ein deutsches Patent geschützten Verfahrens in Deutschland durchgeführt werden, um eine Verletzung feststellen zu können?

Das deutsche Rechtssystem befindet sich auf unsicherem Gebiet, da der Bundesgerichtshof bislang keine abschließenden Entscheidungen zu grenzüberschreitenden Patentverletzungen getroffen hat. Dies hat zu einer Vielfalt regionaler Gerichtsentscheidungen geführt, von denen jede, eigene Nuancen und Interpretationen aufweist. Diese Uneinheitlichkeit mündete in die Entwicklung von zwei vorherrschenden rechtswissenschaftlichen Ansätzen. Beide streben danach, das traditionelle Territorialitätsprinzip mit den Anforderungen und Realitäten der modernen, vernetzten Technologiewelt zu vereinen.

Regionalgerichtliche Ansätze bei grenzüberschreitenden Rechtsverletzungen

Die erste Betrachtungsweise orientiert sich am Konzept des „Territoriums des technischen Erfolgs“. Dieser Ansatz, vorrangig von den Gerichten in Düsseldorf angewendet, fokussiert sich auf den Ort, an dem die patentierte Technologie ihre geplante Wirkung entfaltet. Bei einem patentgeschützten Verfahren, das sowohl in Deutschland als auch im Ausland durchgeführt wird, ist entscheidend, ob der technische Erfolg in Deutschland erzielt wird. Zudem ist relevant, ob die Schritte im Ausland gezielt genutzt werden, um diesen Erfolg zu erreichen. Ein markantes Beispiel für die Anwendung dieses Ansatzes ist das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Juli 2020 (Aktenzeichen 4 a O 53/19) im Fall eines Online-Sehtests.

Die Düsseldorfer Sichtweise zum technischen Erfolg

Die Gerichte in Düsseldorf orientieren sich an der Doktrin des „Territoriums des technischen Erfolgs“. Bei Patentverletzungen, die mehrere Länder betreffen, ist entscheidend, an welchem Ort in Deutschland der technische Erfolg – die Erfüllung des Patentversprechens – erreicht wird. Gemäß dieser Auffassung ist es notwendig, dass der Verletzer die im Ausland ausgeführten Teile des Verfahrens gezielt einsetzt, um den technischen Erfolg in Deutschland zu erzielen.

Weiterhin wird die Bedeutung der im Ausland durchgeführten Schritte im Hinblick auf ihren Beitrag zum technischen Nutzen der Erfindung bewertet, besonders im Vergleich zum derzeitigen Stand der Technik. Falls diese ausländischen Schritte als nebensächlich angesehen werden, liegt der Fokus auf den in Deutschland durchgeführten Aktivitäten, die den technischen Erfolg ermöglichen. Dies betont die Wichtigkeit des erzielten Ergebnisses gegenüber dem Ort der Durchführung einzelner Verfahrensschritte und zeigt einen Weg auf, wie Patente über nationale Grenzen hinweg durchgesetzt werden können, vorausgesetzt, der wesentliche Nutzen der patentierten Methode wird in Deutschland realisiert.

Die Mannheimer Sicht: Vorherrschende Ausführung

Die zweite Denkrichtung konzentriert sich auf das „Gebiet, in dem die Erfindung überwiegend umgesetzt wird“, also auf den Ort, an dem die wesentlichen Teile der Erfindung verwirklicht werden. Diese Sichtweisebetont die Bedeutung der in Deutschland ausgeführten Schritte eines patentgeschützten Verfahrens. Dieser Ansatz kam deutlich in einer Entscheidung des Landgerichts Mannheim vom 9. Oktober 2018 (Aktenzeichen 2 O 163/17) zu Musikstreaming-Diensten zum Ausdruck.

Nach Auffassung des Landgerichts Mannheim kann eine im Ausland durchgeführte Handlung nur dann als Teil einer Patentverletzung in Deutschland betrachtet werden, wenn die in Deutschland erfolgten Schritte so wesentlich sind, dass der erfinderische Erfolg als im Inland erzielt angesehen wird.

Diese Betrachtungsweise verlangt, dass die in Deutschland durchgeführten Schritte von solcher Bedeutung sind, dass die gesamte Verletzungshandlung als in Deutschland begangen angesehen wird. Es geht dabei nicht nur um den technischen Erfolg, sondern auch um die Relevanz der inländischen Schritte für die Gesamtziele des patentierten Verfahrens. Dieser Ansatz nimmt eine ganzheitliche Sicht auf das patentierte Verfahren ein und berücksichtigt die Wichtigkeit und Funktion jedes Schrittes im Kontext der Ziele und Lösungen der patentierten Erfindung.

Auswirkungen der Gerichtsauslegungen auf die Patentstrategie

Die divergierenden Perspektiven der deutschen Landgerichte im Kontext grenzüberschreitender Patentverletzungen unterstreichen die Bedeutung einer sorgfältigen Auswahl des zuständigen Gerichts. Bei Patentverletzungen beschränkt sich die Herausforderung nicht allein auf den Nachweis unautorisierten Gebrauchs. Insbesondere wenn eine Verletzung grenzüberschreitend auftritt, können die subtilen Differenzen in der Rechtsauslegung durch verschiedene Gerichte maßgeblich bestimmen, was in Deutschland als Patentverletzung angesehen wird.

Optimierung von Patentansprüchen für die deutsche Rechtsprechung: Strategische Empfehlungen

In der komplexen Landschaft des deutschen Patentrechts, in der sich die Interpretationen grenzüberschreitender Patentverletzungen unterscheiden, ist eine gezielte Optimierung der Patentansprüche unerlässlich. Die Abgrenzung zwischen dem Düsseldorfer Ansatz des „technischen Erfolgs“ und der Mannheimer Perspektive der „überwiegenden Ausführung“ hebt die Notwendigkeit hervor, Patentansprüche strategisch zu gestalten. Dabei sollten regionale Besonderheiten und rechtliche Präzedenzfälle berücksichtigt werden. Diese Herangehensweise ist besonders wichtig für Patente, die eine grenzüberschreitende Anwendung finden könnten, wie beispielsweise jene, die digitale und netzbasierte Technologien umfassen.

Ansprüche auf Gerichtsauslegungen zuschneiden

Um sich effektiv vor grenzüberschreitenden Patentverletzungen in Deutschland zu schützen, ist es für Patentanwälte entscheidend, ihre Ansprüche präzise zu formulieren. Dabei sollten sie besonders darauf achten, wo die zentralen Schritte einer Erfindung stattfinden und an welchem Ort der technische Erfolg realisiert wird. Eine optimale Formulierung sollte so gestaltet sein, dass sie die technischen Vorteile der Erfindung innerhalb Deutschlands sicherstellt.

Die Ausrichtung von Patentansprüchen auf den technischen Vorteil, wie er aus der Perspektive des inländischen Einsatzes ersichtlich wird, erhöht die Wahrscheinlichkeit, die Anforderungen des „technischen Erfolgs“ zu erfüllen. Es ist wichtig, das Kernkonzept der Erfindung mit Aspekten zu verknüpfen, die in Deutschland zur Anwendung kommen. Dies macht es nicht nur wünschenswert, sondern essentiell, die technischen Vorteile der Erfindung in der Patentschrift genau zu beschreiben. Eine solche Spezifität in der Patentschrift ist von großer Bedeutung.

Idealerweise sollten der Ort des technischen Erfolgs und die Implementierung der patentrelevanten Merkmale der Erfindung in Deutschland übereinstimmen. In einem solchen Fall wäre die spezifische Argumentationslinie, die ein Gericht verfolgt, von geringerer Bedeutung. Ein in sich geschlossener Daten- oder Informationsfluss, der in Deutschland beginnt und endet, kann maßgeblich zur Durchsetzbarkeit des Patents beitragen.

Formulierung von Systemansprüchen und Adressierung einzelner Parteien

Systemansprüche stellen im Bereich des Patentrechts eine besondere Herausforderung dar, da sie oft vielfältige Komponenten und verschiedene Beteiligte umfassen. Es ist ratsam, diese Ansprüche so zu konzipieren, dass sie nicht von Handlungen abhängen, die von Akteuren durchgeführt werden, die rechtlich nicht belangt werden können, wie beispielsweise einzelne Endnutzer. Eine klare Formulierung der Ansprüche, die es ermöglicht, eine Patentverletzung direkt einer einzelnen, rechtlich belangbaren Entität zuzuweisen, ist von großem Vorteil. Dies erleichtert die Identifikation und rechtliche Verfolgung potenzieller Verletzer erheblich.

Flexibilität bei der Anspruchsformulierung

Flexibilität bei der Formulierung von Patentansprüchen ist ein wesentlicher Aspekt. Bei der Einreichung von Patentanmeldungen ist es nicht zwingend erforderlich, sich sofort auf spezifische Kombinationen von Merkmalen festzulegen. In Deutschland können Patente durchgesetzt werden, die auf unabhängigen Ansprüchen basieren und die flexibel an den jeweiligen Verletzungsfall angepasst werden können. Daher ist es empfehlenswert, in den abhängigen Ansprüchen alternative Möglichkeiten vorzusehen. So können Patentanwälte effektiv auf unterschiedliche Situationen im Rahmen von Patentverletzungen reagieren.

Fazit

Die rechtliche Situation grenzüberschreitender Patentverletzungen in Deutschland unterliegt einem ständigen Wandel, beeinflusst durch die unterschiedlichen Auffassungen der regionalen Gerichte. Die Entscheidungen der Gerichte in Düsseldorf und Mannheim veranschaulichen die Komplexität, mit der sich Patentinhaber konfrontiert sehen. Diese divergierenden Perspektiven unterstreichen die Bedeutung einer strategischen und an die regionalen Interpretationen angepassten Gestaltung von Patentansprüchen. Dies ist entscheidend, um grenzüberschreitende Patentverletzungen innerhalb der deutschen Rechtsprechung erfolgreich bewältigen zu können.

 

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Autor: Dr. Michael Schmid