Änderung der Prüfungsrichtlinien des Europäischen Patentamts am 01.03.2023

Am 1. März 2023 traten neue Prüfungsrichtlinien vonseiten des Europäischen Patentamts (EPA) in Kraft.

Dies hat Auswirkungen auf die Prüfungspraxis bei Patentanmeldungen und damit auf die Arbeit von Patentanwälten, sowohl bei der Ausarbeitung von Patentanmeldungen wie auch der Argumentation ihrer Patentierbarkeit vor dem EPA. Im Folgenden werden einige der durch die Aktualisierung der Richtlinien eingeführten Änderungen zusammengefasst.

Berichtigung fehlerhafter Anmeldungsunterlagen

Das Europäische Patentamt (EPA) hat seine Richtlinien dahingehend geändert, dass sie nun einen neuen Abschnitt (A-II-6) zum Vorgehen zur Berichtigung von fehlerhaft eingereichten Anmeldungsunterlagen oder Teilen davon umfassen. Regel 56a EPÜ wurde im Lichte des Patentzusammenarbeitsvertrags (Patent Cooperation Treaty), der PCT-Regel 20.5bis eingeführt, die 2020 in den PCT übernommen wurde. Diese Regel ermöglicht es dem Anmelder, fehlerhaft eingereichte Teile der Anmeldung zu ersetzen, z. B. wenn bei der Einreichung der Anmeldung Zeichnungen mit denen einer anderen Anmeldung verwechselt wurden. Auf diese Weise kann der Anmelder verhindern, dass falsch eingereichte Teile der Beschreibung, der Ansprüche oder der Zeichnungen zur Veröffentlichung gelangen. Die Änderung der Richtlinien durch das EPA stellt sicher, dass die Anmelder die Vorteile der PCT-Regel 20.5bis in vollem Umfang nutzen und Korrekturen an ihren Anmeldungsunterlagen vornehmen können, ohne die Publizierung der fehlerhaften Teile befürchten zu müssen.

Im Allgemeinen wird die Patentanmeldung bei der Einreichung dahingehend geprüft, ob der Anmeldetag wirksam in Anspruch genommen werden kann. Stellt das EPA bei dieser Prüfung fest, dass die Beschreibung, die Patentansprüche oder die Zeichnungen (oder Teile davon) offensichtlich unrichtig eingereicht worden sind, so fordert es den Anmelder auf, die richtigen Unterlagen nachzureichen (vgl. A-II-5).  Innerhalb einer festgesetzten Frist kann der Anmelder nach Regel 56a oder aber Regel 56 verfahren. Alternativ kann der Anmelder von sich aus (ohne Aufforderung durch das EPA) innerhalb von zwei Monaten nach dem ursprünglichen Anmeldetag eine Berichtigung (von Teilen) der Beschreibung, der Ansprüche oder der Zeichnungen vorlegen.

Wichtig für den Anmelder zu wissen ist, dass der Anmeldetag nicht an den Tag des Eingangs der berichtigten Unterlagen angepasst wird. A-II-6.4 enthält einen praktischen Hinweis: Berichtigt der Anmelder die Anmeldungsunterlagen (oder Teile davon) nach dem Anmeldetag, so wird der Anmeldetag nicht geändert, sofern insbesondere die richtigen Anmeldungsunterlagen (oder Teile davon) innerhalb der maßgeblichen Frist eingereicht werden, die Anmeldung eine Priorität beansprucht und die richtigen Anmeldungsunterlagen vollständig in der Prioritätsanmeldung enthalten sind.


Form der mündlichen Verhandlung

Eine weitere Änderung der Richtlinien betrifft die Form mündlicher Verhandlungen. Während bis vor einiger Zeit mündliche Verhandlungen in den Räumlichkeiten des EPA durchgeführt werden konnten, gilt nun die allgemeine Regel, dass mündliche Verhandlungen per Videokonferenz abgehalten werden müssen. Nur in Ausnahmefällen, wenn schwerwiegende Gründe gegen eine Videokonferenz sprechen, kann die mündliche Verhandlung in den Räumlichkeiten des EPA stattfinden.

Diese Änderung räumt allen Anmeldern unabhängig von ihrem Standort die gleichen Chancen ein. Insbesondere für Anmelder aus dem Ausland entfallen lange Anreisewege, odass weniger Zeitaufwand für die mündliche Verhandlung erforderlich ist. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Videokonferenz nunmehr das bevorzugte Format für die mündliche Verhandlung sowohl vor den Prüfungsabteilungen als auch in Inter-partes-Einspruchsverfahren ist.


Nationale ältere Rechte

Im Zusammenhang mit der neuen Top-up-Recherche (wir berichteten in unserem Blog am 01.09.2022)  wurde ein neuer Abschnitt C-IV-7.2 eingeführt. Dies ist einer der wenigen Abschnitte in den Richtlinien, der das kommende Einheitspatentsystem in Verbindung mit dem Unified Patent Court (UPC) widerspiegelt. Der Grund dafür, dass auch in den neuen Prüfungsrichtlinien kaum etwas zum UPC zu finden ist, liegt darin, dass sich die Richtlinien hauptsächlich mit dem Verfahren vor der Patenterteilung befassen, während sich das Einheitliche Patentsystem und das Einheitliche Patentgericht (UPC) mit Angelegenheiten, die erst nach der Patenterteilung akut werden, beschäftigen.

In dem genannten Abschnitt der Richtlinien wird darauf hingewiesen, dass der Prüfer im Erteilungsstadium, angesichts der Bedeutsamkeit der jeweiligen nationalen Rechte für Anmelder in Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht, auch nationale Anmeldungen und Patente aus Vertragsstaaten in die abschließende Recherche einbezieht, soweit sie in den Datenbanken des EPA enthalten sind.

Ein weiterer Abschnitt der Richtlinien, der das künftige einheitliche Patentsystem und das Einheitliche Patentgericht (UPC) widerspiegelt, ist die Richtlinie E-VIII, 5 , in der es um die beschleunigte Behandlung von Einspruchsverfahren geht. Ist vor dem Einheitlichen Patentgericht oder einem nationalen Gericht eines Vertragsstaats eine Klage wegen Verletzung eines europäischen Patents anhängig, so kann eine Partei des Einspruchsverfahrens eine beschleunigte Behandlung beantragen. Das EPA treibt die Bearbeitung von Einsprüchen ebenfalls dann voran, wenn es vom Einheitlichen Patentgericht, einem nationalen Gericht oder einer zuständigen Behörde eines Vertragsstaats davon unterrichtet wird, dass eine Verletzungsklage anhängig ist.


Sequenzprotokolle

Die aktualisierten Prüfungsrichtlinien bekräftigen, dass Anmeldungen, einschließlich Teilanmeldungen, die ein Sequenzprotokoll enthalten, dem WIPO-Standard ST.26 entsprechen müssen. Dies bedeutet insbesondere in Bezug auf das Sequenzprotokoll einer Teilanmeldung (A-IV-5.4), dass das Sequenzprotokoll einer Teilanmeldung auch dann im (konvertierten) ST.26-Format beigefügt werden muss, wenn eine Stammanmeldung nach dem bisherigen WIPO-Standard ST.25 eingereicht wurde. In den aktualisierten Richtlinien wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Inhalt der Veröffentlichung in der Verantwortung des Anmelders liegt sowie dass Sequenzprotokolle der Stammanmeldung nicht automatisch den Unterlagen der Teilanmeldung beigefügt werden, wenn sie nicht dem ST.26-Format entsprechen.

Diese Aktualisierung weckt bei Anmeldern die Befürchtung, dass sie in Fällen, in denen das ST.25-Sequenzprotokoll weniger Informationen enthält als das ST.26-Sequenzprotokoll, gezwungen sein könnten, das Sequenzprotokoll und damit die Anmeldung unzulässig zu erweitern. Es ist daher wichtig, diese Fragen rechtzeitig vor Einreichung einer Teilanmeldung zu klären.


Konformität zwischen Beschreibung und Ansprüchen

Die Frage, inwieweit Ansprüche und Beschreibung übereinstimmen müssen, ist seit Langem  zwischen Anmeldern und EPA umstritten. Die aktualisierten Prüfungsrichtlinien betonen, dass in der Beschreibung Ausführungsformen, die nicht mehr beansprucht werden, auch als nicht zur Erfindung gehörend gekennzeichnet werden müssen.

Nach den aktualisierten Richtlinien (F-IV-4.3) implizieren einerseits Begriffe wie „Offenbarung", „Beispiel", „Aspekt" für sich genommen nicht notwendigerweise, dass das Folgende außerhalb des Schutzbereichs eines unabhängigen Anspruchs liegt. Andererseits würde es zur Kennzeichnung von Ausführungsformen, die nicht mehr in den Schutzbereich eines unabhängigen Anspruchs fallen, nicht ausreichen, einfach den Begriff „Ausführungsform" oder „Erfindung" durch einen dieser Begriffe zu ersetzen. Stattdessen müssten Ausdrücke verwendet werden, die die Ausführungsform eindeutig als nicht mehr dem Schutzbereich eines unabhängigen Anspruchs unterliegend kennzeichnen (z. B. mit Worten wie: „nicht in den Schutzbereich des Anspruchs fallend", „nicht wie in der beanspruchten Erfindung" oder „außerhalb des Schutzbereichs des Anspruchs").

Dies lässt viel Raum für Interpretationen und Diskussionen darüber, was ein Fachmann, der die Anmeldung liest und der dafür offen ist, ihren Inhalt zu erfassen, unter der Erfindung tatsächlich versteht, und zwar in dem Wissen, dass der tatsächliche Schutzbereich durch die Ansprüche definiert wird. Ein Merkmal, das offensichtlich nicht dem Schutzbereich der Ansprüche zuzurechnen ist und in der Beschreibung beispielsweise als „Ausführungsform" bezeichnet wird, wird in der Folge nicht irrtümlicherweise als dennoch zur Erfindung gehörend angesehen und interpretiert werden.

Die Tatsache, dass die Forderung nach Übereinstimmung zwischen Beschreibung und Ansprüchen eher umstritten ist, spiegelt sich in der zunehmend divergierenden Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu dieser Frage wider. Beispiele hierfür sind etwa T 3097/19 (pro Konformität) und T 2194/19 (Catchwords: „Das Erfordernis, dass die Ansprüche durch die Beschreibung nach Artikel 84 Satz 2 EPÜ gestützt sein müssen, bedeutet nicht notwendigerweise, dass alle „Ausführungsformen" der Beschreibung einer Patentanmeldung von den (unabhängigen) Ansprüchen erfasst sein müssen, d. h. dass alle Ausführungsformen in den Schutzbereich dieser Ansprüche fallen müssen.").

Es bleibt abzuwarten, wohin die Reise in der zukünftigen Praxis geht.

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Autor: Dr. Michael Schmid